SEITEN VON THEODOR FREY
WER DIE POSAUNE DER TRÜBSAL BLÄST,
ÜBERHÖRT DIE KLEINE FLÖTE DER FREUDE.
Johannes Bosco
ALLERHEILIGENHOFKIRCHE MÜNCHEN
HERKULESSAAL
PRINZREGENTENTHEATER
"Es
ist
die
Musik,
die
es
uns
erlaubt,
zur
gleichen
Zeit
unterschiedliche
Gedanken
und
Gefühle
zu
haben.
Nie
weint
oder
lächelt
sie
nur,
stets
macht
sie
beides
zugleich
möglich.
Sie
ist
ein
simultanes
Gespräch
zwischen
scheinbaren
Gegensätzen,
die
friedlich
nebeneinander
existieren,
im
dauerhaften Dialog."
Daniel Barenboim - In der ZEIT . Nr. 51/2016
"Mozart
direkt
können
Sie
nicht
hören,
niemals.
Sie
hören,
wie
Gilels
diese
Musik
interpretiert
hat.
Das
heißt:
auch
nicht
ganz,
denn
Sie
hören
nur,
was
Sie davon verstehen können. Ein komplizierter Vorgang."
Grigory Sokolov - Interview in der ZEIT . Nr. 3/2016
"Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum."
Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile, 33
"Die
Wahrheit
ist
hässlich:
wir
haben
die
Kunst,
damit
wir
nicht
an
der
Wahrheit zugrunde gehen."
Nietzsche - Nachgelassene Fragmente 1887-1889, 16(49)
"Musik
ist
eine
erhabene
Kunst!
Nur
unwillig
dient
sie
dem
Trug
des
Theaters.
Nicht
Trug!
Die
Bühne
enthüllt
uns
das
Geheimnis
der
Wirklichkeit.
Wie
in
einem
Zauberspiegel
gewahren
wir
uns
selbst.
Das
Theater
ist
das
ergreifende Sinnbild des Lebens."
Capriccio - IX. Szene
"Da
spielen
sie
heute
vormittag
im
Radio
das
Konzert
für
zwei
Violinen
von
Bach.
..
.
.
Nichts
verändert
sich
im
Zimmer,
nicht
einmal
die
Beleuchtung.
Und
solange
die
Musik
da
ist,
spüre
ich,
daß
trotz
manchem
Scheußlichen
die
Welt
in
Wahrheit
zutiefst
in
Ordnung
ist;
ich
will
ein
besserer
Mensch
werden,
und
es
macht
mir
auch
nichts
mehr
aus,
daß
ich
sterben
muß.
Und dafür reichen Worte nicht aus.“
Isabella Nadolny - Seehamer Tagebuch
SPIELORTE
„Was bedeutet eine Symphonie von Mozart?
Um
das
zu
beantworten,
muß
man
damit
beginnen,
sie
zu
hören
und
wieder
zu
hören,
ihre
Bedeutungsfülle
verstehend
in
sich
aufzunehmen;
erst
dann
wird
es
möglich
sein,
darüber
zu
reden,
und
zwar
nur
mit
solchen,
die
durch
das
Tonbild
die
gleiche
Fülle
auf
sich
eindringen
ließen.
Vielleicht
wird
man
ein
Bedürfnis
verspüren,
ihren
Sinngehalt
in
Worten
zu
umschreiben,
aber
man
weiß
dabei,
daß
dieser
Versuch
mehr
ein
Spiel
als
ein
Ernst
ist,
und
daß
eine
endgültige
Umsetzung
in
Begriffe
wesenhaft
unmöglich
bleibt.
Ja,
diese
Begriffe
werden
für
den,
der
den
Ausdruck
unmittelbar
verstanden
hat,
nur
wie
hilflose
Zeichen
erscheinen,
wie
Plattheiten,
verglichen
mit
der
unvergleichlichen
Einmaligkeit
des
Kunstwerks.
Begriffe
passen
ja
immer
auch
auf
andere
Dinge,
hier
aber
hat
sich
ein
Ding
in
seiner
unverwechselbaren,
singulären
Bedeutung
offenbart.
Tausend
Eigenschaftsworte
werden
dem,
der
die
Ouvertüre
zum
Don
Juan
nicht
gehört
hat,
nie
den
leisesten
Begriff
davon
vermitteln.
Sie
ist
bis
in
den
letzten
Sechzehntel
hinein
mit
Geist
geladen,
sie
sprüht
von
Sinn
und
Bedeutung
und
sie
verbirgt
ihn
nicht
hinter
den
Tönen,
sie
drückt
alles
aus,
was
ausgedrückt
werden
konnte.
Und
dennoch:
wer
wollte
aussprechen,
was
sie
nun
wirklich
bedeutet?
Vielleicht
wäre
es
leichter
zu
sagen,
wenn sie nicht so vollkommen wäre.“
Hans Urs von Balthasar - Theologik I. Wahrheit der Welt - S. 154
Glasfenster am Münchner (neuem) Rathaus
Während der Kompositionsarbeit an seiner Missa solemnis (1820) stand
Ludwig van Beethoven in Verbindung mit Johann Michael Sailer. Die
Widmungsinschrift »Von Herzen – Möge es wieder – zu Herzen gehen«
findet sich in dem in der Berliner Staatsbibliothek verwahrten Autograph.
Martin Geck weist darauf hin, dass Beethoven die Stelle offensichtlich
aus Sailers Übertragung der „Nachfolge Christi“ übernommen hat. Dort heißt es: „Dies ist der
unverkennbare Charakter dieses Buches: es ging aus dem Herzen hervor und will wieder zu Herzen
gehen.“ Angesichts dieser Übereinstimmung wird Sailer zu einer zentralen Figur in der inneren Welt
Beethovens.
Martin Geck - Beethoven - S. 151
Beethoven selbst bezeichnete sie in seinen letzten Lebensjahren als sein gelungenstes Werk.
Sein Kommentar zum Agnus dei: „Bitte um innern und äußern Frieden“ und die Vortragsbezeichnung:
„ängstlich“.
Gehört am 17.2.2019 im Nationaltheater in München - Dirigent Kirill Petrenko
Beethovens 5. Klavierkonzert, 1809 in Wien komponiert, entsteht inmitten der Belagerung Wiens
durch Napoleon und ist, ungeachtet seines englischen Beinamens, dem Erzherzog Rudolph
gewidmet. Der ganze Tonfall des Konzerts steht in entschiedenem Widerspruch zu den
Umständen seiner Entstehung: Welch zerstörendes, wüstes Leben um mich her! Nichts als
Trommeln, Kanonen, Menschenelend in aller Art", schreibt Beethoven an seinen Verleger
Breitkopf. Und doch wählt er als Grundtonart das festliche Es-Dur, die gleiche Tonart, in der auch
seine 3. Sinfonie, die ursprünglich Napoleon gewidmete „Eroica", steht. Heute wird Beethovens
bahnbrechendes Werk als Umbruch vom klassischen zum romantischen Solokonzert gedeutet, in
dem Solisten und Orchester nicht mehr im eigentlichen „concertare"-Sinne als Antagonisten
auftreten, sondern sich vielmehr in einem emanzipierten Dialog zusammenfügen, gegenseitig
unterstützen und eine gemeinsame Aussage treffen.
Gehört am 14.2.2019 in der Allerheiligenhofkirche
mit dem Münchener Kammerorchester und Igor Levit als Solist
Beethoven
Kammermusik
Duo mit zwei obligaten Augengläsern für Viola und Violoncello Es-Dur WoO 32
Beethovens Humor, eine zumeist unterschätzte Facette seiner Persönlichkeit,
trug mitunter kuriose musikalische Früchte. Das Duett wurde erst Ende des 19. Jhr.
unter diesem Titel in einem Skizzenband des Meisters aufgefunden.
„Der Humor ist das größte Gnadengeschenk der göttlichen Welt
an den bedrängten Menschen“ E.T.A. Hoffmann
Streichtrio Nr. 1 Es-Dur op. 3
Streichquartett Nr. 7 F-Dur op. 59 Nr. 1 Rasumowsky-Quartett (1806)
8. Symphonie
Gehört am 21.2.2019 im Prinzregententheater
mit dem Münchener Kammerorchester
davor 2018 in Wien mit dem Cleveland Orchester unter Welser-Möst
im großen Musikvereinssaal zusammen mit der 5. Symphonie und der Overtüre zu „Coriolan“.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Ouvertüre zu „La nozze di Figaro" KV 492
La nozze di Figaro, eine der großen da Ponte-Opern, gehört heute nicht ohne Grund zu den
beliebtesten und meistaufgeführten Bühnenwerken.
Wie so oft bei Mozart, spielt die Handlung vor dem Hintergrund der Ablösung absolutistischer
Adelsgesellschaft durch das bürgerliche Zeitalter. Weder vorher noch nachher ist der natürliche,
unbändige Lebenstrieb nach seiner heiteren, daseinsfrohen Seite so unmittelbar in Töne umgesetzt
worden wie hier", schrieb der Musikhistoriker Hermann Abert zur Ouvertüre des Verwirrspiels,
dessen Inhalt eindeutig durch die Zeit des aufgeklärten Absolutismus in Wien beeinflusst ist.
Gehört am 14.2.2019 in der Allerheiligenhofkirche
mit dem Münchener Kammerorchester
Bohuslav Martinů (1890-1959)
Sinfonietta La Jolla" op. H328
In Prag ausgebildet, zog Bohuslav Martinö 1923 wegen der größeren künstlerischen
Entfaltungsmöglichkeiten nach Paris und emigrierte 1940 '"von dort in die USA.
So schlagen zeit seines Lebens nicht nur zwei, sondern sogar drei Herzen in Martinus Brust. 1948 trat
die „Musical Arts Society" aus La Jolla, Kalifornien mit der Bitte um ein leichtes, unterhaltsames und
heiteres Stück an ihn heran. Die so entstandene Sinfonietta „La Jolla" für Kammerorchester vereint
auf höchst anregende Weise die Klänge seiner böhmischen Heimat, Einflüsse des französischen
Impressionismus und des amerikanischen Jazz.
Gehört am 14.2.2019 in der Allerheiligenhofkirche
mit dem Münchener Kammerorchester - Eine Entdeckung zum Nachhören!
Dimitri Schostakowitsch (1906-1975)
Konzert für Klavier, Trompete und Streicher Nr. 1 c-Moll (1933)
„Humor, als das umgekehrt Erhabene, vernichtet nicht das Einzelne, sondern das Endliche
durch den Kontrast mit der Idee.“
Jean Paul
„Das Wort satirisch verstehe ich durchaus nicht im Sinne von lächerlich, spöttisch. Im
Gegenteil: Ich habe mich stets bemüht eine entlarvende Satire zu schaffen, die Masken
herunterreißt und dazu zwingt, die ganze schreckliche Willkür und das Beleidigende in der
Welt zu hassen.“
Dmitri Schostakowitsch
Gehört am 21. 2.2019 im Prinzregententheater
mit dem Münchener Kammerorchester unter Clemens Schuldt mit den Solisten Lisa de la Salle
(Klavier) und Rüdiger Kurz (Trompete) - Eine Entdeckung zum Nachhören!
ZAUBERFLÖTE
Benjamin Britten
Peter Grimes. Four sea interludes, op. 33a
Edward Elgar
Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll, op. 85
Ralph Vaughan Williams
Symphonie Nr. 4 f-Moll
Gehört am 1. 3. 2019 mit:
Cristian Măcelaru, Dirigent, Alban Gerhardt, Violoncello
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
CHARLES IVES
›A set of Pieces for Theatre Orchestra‹
HK GRUBER
›Frankenstein!!‹
›allerleirausch, neue schöne kinderreime‹, heißt der Gedichtband des Wiener Lyrikers H. C.
Artmann, dem HK Gruber die Texte für sein immens erfolgreiches Pandämonium
›Frankenstein!!‹ (1976/77) entnahm. Artmanns entlarvender Blick auf das Profane, auf Pop
und Trash findet seine Entsprechung in der ›ständigen Verfremdung des konventionellen
Orchesterklanges durch den Griff in einen Schrank voller Spielzeuginstrumente‹, schreibt der
Komponist. Und weiter: ›Mein Ziel war, analog der Artmannschen Schreibweise eine breite
Palette alter sowie neuer und populärer musikalischer Idiome gezielt zu verarbeiten.‹
LOUISE FARRENC
Symphonie Nr. 3 g-Moll
Die 1847 vollendete g-Moll-Symphonie der Französin Louise Farrenc (1804-1875), die der
junge Brite Duncan Ward für sein Debüt beim Münchener Kammerorchester ausgewählt hat,
gehört zu jenen Entdeckungen, bei denen man sich fragt, warum sie einem so lange verborgen
blieben.
Dimitri Schostakowitsch (1906-1975)
5. Symphonie d-Moll (1937)
Dmitri Schostakowitsch
Gehört am 26 3. 2019 in der Philharmonie
mit den Münchener Philharmoniker und Valery Gergiev
Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893)
1. Klavierkonzert op. 23 b-Moll (1874)
Gehört am 26 3. 2019 in der Philharmonie
mit den Münchener Philharmoniker und Valery Gergiev
Solist: Rudolf Buchbinder
Dostojewskij hat in den frühkommunistischen Zirkeln verkehrt, ist mit vielen andern verurteilt und in
grimmiger Kälte zur Richtstätte geführt worden, um füsiliert zu werden, er hat den sichern Tod
erwartet und vorweg durchlebt, dafür das «Totenhaus » Sibirien eingetauscht, wo er ins nackte
Christliche hineingedemütigt wurde; nach der Heimkehr erscheinen die drei weltanschaulichen
Romane « Der Idiot»‚ « Die Dämonen »‚ « Die Brüder Karamasoff»; « Der Idiot >‚ Lieblingsbuch und
Schmerzenskind des Verfassers, enthält alles folgende im Kern.
Hans Urs von Balthasar - Herrlichkeit - S. 557
Gesehen als Schauspiel im Residenztheater in einer Inszenierung von Andreas Kriegenburg
Elektra 1901- 1903
„Ich habe mich lebenslang mit dem was man «Zeit« nennt
herumgeschlagen, und möchte nicht sterben, ohne diesem
Gegner, der etwas schlangenartig umschlingendes hat,
noch mehr ins Gesicht gesehen zu haben.“
(Hofmannsthal an Josef Redlich, 8.11.1926)
Wer leben und handeln will, muß ein richtiges Verhältnis
zur Zeit haben, muß sich den Gesetzen von Sein und
Werden unterstellen. Eiektras zerstörtes Zeitgefühl
bezeichnet eindringlich, wie sehr ihr Lebensrhythmus
gestört ist, wie sehr sie die Wirklichkeit verloren hat. Was
in der Gegenwart geschieht, entzieht sich dem Auge oder
verwandelt sich unter ihrem Blick in Vergangenes.
Gesehen als Schauspiel im Residenztheater in einer
Inszenierung von Regie & Bühne Ulrich Rasche
Komposition + Musikalische Leitung Monika Roscher
Katja Bürkle Elektra
Juliane Köhler Klytämnestra
Thomas Lettow Orest
Lilith Häßle Chrysothemis
Faust I (veröff. 1808)
Gesehen als Schauspiel im Residenztheater in einer Inszenierung von Martin Kušej
Bühne Aleksandar Denić - Dramaturgische Mitarbeit Albert Ostermaier
Werner Wölbern Faust
Bibiana Beglau Mephisto
Andrea Wenzl Margarete
brutal - extrem - zerrissen
SCHÜLER
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden
Und in dem Himmel ist, erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.
MEPHISTOPHELES.
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen.
Mein teurer Freund, ich rat' Euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
Irrlichteliere hin und her.
…
Zwar ist's mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
Der Philosoph, der tritt herein
Und beweist Euch, es müßt' so sein:
Das Erst' wär' so, das Zweite so,
Und drum das Dritt' und Vierte so,
Und wenn das Erst' und Zweit' nicht wär',
Das Dritt' und Viert' wär' nimmermehr.
Das preisen die Schüler aller Orten,
Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
…
Nachher, vor allen andern Sachen,
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen!
Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
SCHÜLER.
Das sollt Ihr mir nicht zweimal sagen!
Ich denke mir, wie viel es nützt;
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.
MEPHISTOPHELES.
Im ganzen – haltet Euch an Worte!
Dann geht Ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
SCHÜLER.
Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.
MEPHISTOPHELES.
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;
Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
ROBERTO DEVEREUX
mit Edita Gruberova
im Jahr 2004 bis zum letzen Auftritt am 27.3.2019
„Non vivo“: Endlich spuckt die alternde Herrscherin diese zwei Worte heraus. . . Die vier Buchstaben
des „vivo“ splittern in alle Richtungen auf der Riesenbühne des Münchner Nationaltheaters. Sie
reißen Wunden in die Seelen der atemlos staunenden und gebannt lauschenden Zuhörer. Dieses „Ich
lebe nicht“ wird zum Fanal, zum Schlüsselmoment des ganzen Abends. In dieser Sekunde hat jeder
begriffen, warum gerade diese der 74 Donizetti-Opern hier und heute unbedingt gespielt werden
muss: „Roberto Devereux“, 1837 erstmals in Napoli aufgeführt und betitelt nach dem historischen
Favoriten Elizabeths I. von England, den sie nach einem Hochverratsprozess 1601 hinrichten ließ.
Edita Gruberova streift die Perücke ab, mit der sie als Elizabeth I. drei Akte lang ihrem Roberto und
der ganzen Welt gefallen wollte. Nun steht sie als fast gebrechliche, schütter weißhaarige Frau vor
uns, die sich zutiefst verzweifelt in jenen Wahnsinn stürzt, der auch andere Donizetti-Heroinen
heimsucht. Da steht in dieser so schonungslosen wie ergreifenden Abschiedsszene eine der heute
selten gewordenen Sängerinnen, die nur via Gesangskunst den Triumph des Geistes über den Körper
zelebriert und ihr Publikum in die finale, bekannt unheilbare Melomanie treibt. Der Königin Abschied
von Macht und Leben, er wirkt am Premierenabend – unausgesprochen – fast wie ein sich
andeutender Abschied der Gruberova von der Bühne. . . .
Die Gruberova weiß um die betörende Wirkung einer messa di voce: Ein Hochton wird leise
angesetzt, schwillt an, verflüchtigt sich wiederum Leisen. So banal die Beschreibung, so wenig solch
ein Ton kompositorisch hergibt . . . – in solch einem Moment erringt eine Sängerin Macht übers
vegetative Nervensystem ihrer Hörer und macht sie zu Hörigen. Wenn sie leise, aber überall im
Riesenraum deutlich vernehmbar eine Phrase an der Talsohle der Melodie abfängt, wenn sie einen
Oktavlauf wie eine Leuchtrakete in die Höhen hinaufzischt, sich dort in einem Triller fangen lässt und
in immer wieder hochgebogenen Schleifen zurück in die Tiefe sinkt, dann weiß das Publikum nicht
mehr ein noch aus und tobt sich die unbändig empfundene Lust aus der Seele.
Denn die Gruberova singt diese Bravourstücke nie als solche, sondern nützt sie für das diffizil
gestaltete Psychogramm einer alternden Powerfrau, der der Lover, die beste Freundin, der
verlässlichste Berater und damit der Sinn des Lebens schlagartig abhanden kommen. Drei Szenen
genügen dafür. Erst erinnert sie sich der glücklichen Tage mit Roberto, dann wird ihr klar, verlassen
und verraten zu sein. Sie schreitet zur Rache und hofft doch bis zuletzt auf ein Einlenken des
Geliebten. Vergebens. Der Rest ist schwärzeste Verzweiflung. ...
Erst im Finale trägt sie eine Abendrobe aus schwarzen Samt - zur Hinrichtung Robertos und dem
Abschied von Krone und Leben. Dann zieht sich die Gruberova langsam die Perücke vom Kopf und
bricht zusammen.
Erschütterndes Finale eines selten spannenden Opernabends, dessen Qualität sich nicht zuletzt
Friedrich Haider am Pult des höchst geschmeidig spielenden Staatsorchesters verdankt und dem
diffizil singenden und spielenden Chor der Staatsoper. Stehende Ovationen.
KLAUS KALCHSCHMID
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 15. Juli 2004
Besetzung am 27. 3. 2019
Musikalische Leitung Friedrich Haider
Inszenierung Christof Loy
Elisabetta Edita Gruberova
Herzog von Nottingham Vito Priante
Sara Silvia Tro Santafé
Roberto Devereux Charles Castronovo
Gala Edita Gruberova am 3. Juli 2018 im Nationaltheater
W.A. Mozart, Die Entführung aus dem Serail (Ouvertüre, „Welcher Wechsel herrscht in
meiner Seele" -„Traurigkeit ward mit zum Lose", Rezitativ und Arie der Konstanze);
Don Giovanni (Ouvertüre, „Crudele? Ah no giammai mio ben", „Non mi dir", Rezitativ und
Arie der Donna Anna); Idomeneo (Ouvertüre, „Oh smania, oh furie", „D'Oreste, d'Ajace",
Rezitativ und Arie der Elettra)
G. Verdi,La traviata (Vorspiel zum 3. Akt, „Teneste la promessa", „Addio del
passato",„Parigi, o cara, noi lasceremo", ‚Gran Dio! Morir si giovine", „Se una pudica
vergine", „E strano"
V. Bellini, Ouvertüre zu Norma, „Ah! Non credea mirati", Arie der Amina aus La
sonnambula
Marco Armiliato, Musikalische Leitung
„Begleitet vom juvenil frischen Stabführer Marco Armiliato schenkt Gruberova ihrem
Publikum noch einmal einen Abend voller Magie, der sich neben allerlei
Gänsehautmomenten vor allem durch ein breit gefächertes Programm auszeichnet, in dem
Gruberovas Stärken voll und ganz zum Tragen kommen sollten.
In einem regelrecht furiosen Mozartblock zu Beginn, in dem Gruberova vor allem in der
Arie der Konstanze („Entführung aus dem Serail") zu überzeugen wusste, wurde auch dem
skeptischsten Besucher schnell vor Augen geführt, wieso diese Frau über Jahre hinweg als
vielleicht beste Mozartinterpretin dieser Welt galt. Geschickt von Motiv zu Motiv
dahinschwingend gibt sich Gruberova als Architektin einer beeindruckenden Landschaft -
von der Schlichtheit und der Konstruktionskomplexität der Wiener Klassik geprägt.“
Raphael Eckardt
1974 hatte Gruberova die erste "Königin der Nacht" in München gesungen.
Ansonsten 33 Mal Lucia di Lammermoor, 28 Mal Lucrezia Borgia, 37 Mal Anna
Bolena, 26 Mal Elvira in "I Puritani", 28 Mal Norma, 28 Mal Rosina in "Il
barbiere di Siviglia". An diesem Abend nun ihre letzte "Elisabetta" in
mitreißendem Team mit Charles Castronovo als Roberto, Silvia Tro Santafé als
Sara und mit Gruberovas musikalischem Lebensbegleiter Friedrich Haider am
Pult.