* 23. Februar 1883 in Oldenburg † 26. Februar 1969 in Basel
Karl
Jaspers
ist
der
Philosoph,
der
mich
am
meisten
beeinflusste,
vor
allem
mit
seinen
drei
Hauptwerken,
„Philosophie“,
„Von
der
Wahrheit“
und
„Die
großen
Philosophen“.
Mit
diesen
Seiten
möchte
ich
mich
erneut
in
sein
Denken
vertiefen
und
Bezüge
zum
heutigen Geschehen und zu meinen Zeichnungen und Bildern herstellen.
Hannah
Arendt
hat
von
ihm
die
„gewollte
Unbefangenheit
des
Urteils
und
bewusste
Distanz
von
allen
Fanatismen“
und
die
„dauernd
zur
Kritik
bereite
Toleranz
gelernt,
die
von
Skepsis
gleich
weit
entfernt
ist
wie
vom
Fanatismus
und
schließlich
nur
die
Realisierung
dessen
ist,
daß
alle
Menschen
Vernunft
haben
und
daß
keines
Menschen
Vernunft
unfehlbar
ist“
(Hannah
Arendt:
Die
verborgene
Tradition.
Acht
Essays.
Frankfurt a.M. 1976. Seite 8).
Jaspers
unterschied
Wissenschaft
von
Philosophie,
aber
er
lehnte
die
Wissenschaft
keineswegs
ab.
Für
ihn
musste
die
Philosophie
durch
die
Wissenschaft
hindurch
gehen, um zu ihren eigenen Wahrheiten gelangen zu können.
Jaspers
verband
seine
Existenzphilosophie
mit
der
politischen
Philosophie.
Er
dachte
kosmopolitisch
und
betonte,
dass
die
„Einheit
der
Menschheit“
in
der
Kommunikation
hergestellt
werden
könnte:
im
Reden
miteinander,
das
auch
dann
nicht
abreißen
darf,
wenn sich keine Einigung abzeichnet.
Er wollte, dass Philosophie uns alle angeht und dass jeder sie verstehen können sollte.
PHILOSOPHISCHE LOGIK
ERSTER BAND
DAS SEIN DES UMGREIFENDEN
DAS UMGREIFENDE DES ERKENNENS
WAHRHEIT
GERTRUD JASPERS GEWIDMET
I. Die Wahrheit in der Zeit S. 1,2,3
Wir
leben
nicht
unmittelbar
im
Sein,
daher
wird
Wahrheit
nicht
unser
fertiger Besitz. Wir leben im Zeitdasein: Wahrheit ist unser Weg.
Unsere
höchsten
Augenblicke
sind
unser
Innesein
des
Wahren,
sei
es
im
Tun,
sei
es
in
der
Wirklichkeit
des
bewegten
Bewußtseins,
sei
es
in
der
Teilnahme
an einem Ganzen, sei es im Schauen des Grundes und in der Liebe.
Durch
Zweifel
kommen
wir
zum
Gewißsein,
aber
der
Wandel
in
der
Zeit
läßt uns in neuen Zweifel geraten.
Durch
Verzweiflung
kommen
wir
zum
erlösenden
Erfahren
des
Ursprungs,
aber der Gang der Dinge in der Zeit bringt uns in neue Verzweiflung.
Das
Wahrheitsbewußtsein
hat
seine
Quelle
in
einer
Tiefe,
aus
der
dem
Verstand
entgegenkommt,
was
durch
ihn
erst
hell
wird.
Wahrheit
ist
weder
im Verstand noch im Gefühl einfach da.
Wahrheit
erwächst
im
umfassenden
Prozeß
des
ganzen
Menschen.
Wahrheit
erwächst aus dem Ineinander von Denken und Leben.
Gefühl
ist
erst
wahr,
wenn,
was
in
ihm
liegt,
zum
klaren
Gedanken
,
zur
sinnvollen
Tat
und sichtbaren
Gestalt
wird.
Denken
ist
nur
wahr
dadurch,
daß
es
in
die
Zeit
tritt,
daß
es
Leben
und
als
solches an geschichtliche Wirklichkeit gebunden ist.
Verlorene
Wahrheit
ist
nicht
durch
überspringende
dogmatische
Aussagen
wiederzugewinnen.
Wahrheit
gewinnen
heißt:
eine
Selbstverwandlung
des
Menschen
zu
vollziehen
aus
einem
verworrenen,
blindbewegten
zu
einem
klaren Zustand seines Wesens in seiner von ihm erfüllten Welt.
II. Der Sinn der philosophischen Logik
S. 3 ff.
Das logische Wissen kann wahr nur sein, wenn es
allumfassend
ist.
Daher
gründet
logisches
Wissen
ebensosehr
auf
das
Denken
des
Alltags,
auf
jede
Weise
von
Erfahrung,
auf
das
Tun
und
Entscheiden
der
Praxis,
auf
alle
menschliche Gehalte.
Die
philosophische
Logik
erkennt
die
Sprünge
der
Seins-
und
der
Wissensweisen. Sie
unterscheidet
und sieht die Grenzen einer jeden Weise.
Die
philosophische
Logik
sucht
ständig
die
Einheit
dadurch,
daß
sie
nichts
isoliert stehen läßt, vielmehr alles auf alles zu beziehen versucht.
Philosophische
Logik
macht
den
Raum
frei.
Sie
erhellt
alle
Weisen
der
Wißbarkeit
und
des
Seins,
um
sich
für
neue
Weisen
offenzuhalten.
Sie
läßt
die grenzenlose Weite uns fühlbar werden.
Sie
läßt
entgegenkommen,
wa
sie
selbst
nie
hervorbringen
könnte.
So
ist
sie
der
Stachel,
der
keine
Ruhe
läßt,
wenn
ich
mich
vorzeitig
in
endgültiger
Wahrheit
verfangen
will.
Sie
erinnert
an
die
Tiefe
des
Grundes,
aus
der
allein Wahrheit hervorgeht.
Philosophische
Logik
ist
der
Raum
der
Mitteilbarkeit
,
in
dem
denkende
Menschen
-
trotz
ihrer
Wesensverschiedenheit
-
sich
treffen
können.
Sinn
ist
es
aber
nicht
alle
zu
einigen
auf
die
vermeintlich
eine
Wahrheit
überhaupt,
sondern
-
die
konkreten
Entscheidungen
offenlassend
-
diese
selbst
durch
Helligkeit
zu
dem
höchsten
Niveau
der
Wahrhaftigkeit
und
Selbstbewußtsein zu bringen.
Fraglosigkeit und Verwirrung des Seinswissens
Mit
dem
ersten
Fragen
nach
dem,
was
Sein,
Wissen,
Wahrsein
sei,
beginnt
zwar
das Philosophieren, aber zugleich auch die mögliche
Bodenlosigkeit.
Was
ich
denke
mit
der
Gewißheit,
es
sei
so,
oder
mit
dem
Wissen
um
seine
Möglichkeit,
das
bewirkt
mein
Seinsbewußtsein,
meine
Entwürfe,
meine
Sorgen
und
meine
Hoffnungen,
meinen
Mut
und
meine
Ohnmacht.
Der
Gedanke
kann
mir
geben,
woran
ich
mich
halte;
er
kann
mehr
noch
mich
berauben.
Wenn
aber
der
Gedanke
gefährlich
ist,
so
ist
er
doch
das
Wagnis,
mit
dem
allein
zum
Eigentlichen
zu
kommen
ist,
das
ich
in
der
Fraglosigkeit
des
Nichtdenkens
in
dumpfem Ungenügen entbehre.
1. Ansatz zum Denken der Ursprünge
S. 29 ff.
TAM 2020 - Bodenlosigkeit
Die Frage nach dem Sein, Wissen, Wahrsein
Das
Wirkliche
ist
das
Zeitliche
und
das
Anschauliche.
Aber
wir
sehen,
daß
dieses
Zeitliche
gerade
durch
die
Zeit
in
das
Nichts
versinkt
und
daß
das
Anschauliche,
indem
es
erkannt
wird,
die
Anschaulichkeit
verliert
bis
zur
Unkenntlichkeit.
In
der
Durchschnittlichkeit
unseres
Auffassens
und
Verhaltens
steht
eine
Menge
von
Wirklichkeiten
für
die
Wirklichkeit:
es
pflegen
jeweils
irgendwelche Wirklichkeitsformen verabsolutiert zu werden.
Eine
Tatsache
ist
da
oder
nicht
da,
sie
kann
einwandfrei
festgestellt
werden.
Hier
scheint
etwas
zu
sein,
an
dem
nicht
zu
rütteln
ist.
Aber
was
Tatsache
sei,
zerrinnt
uns
wiederum.
Die
Messung
ist
abhängig
von
Meßinstrumenten, von Situation und Verfassung des Messenden.
Weiter
besteht
die
grenzenlose
Deutbarkeit
und
verwandelnde
Umdeutbarkeit
jedes
Einzelseins,
also
alles
menschlichen
Denkiens
und
Tuns, Fühlens und Hervorbringens.
Die
Wirklichkeit
eines
Daseinenden
zu
beschreiben
kommt
an
kein
Ende.
Indem
ich
einen
Tatbestand
feststelle,
konstruiere
ich
ihn
schon
dadurch,
daß
ich
ihn
aus
der
Endlosigkeit
wählend
heraushebe:
„Alles
Tatsächliche
ist schon Theorie“.
a) Die Frage nach dem Sein
S. 30
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
Goethe -Faust I -Studierzimmer, Mephistopheles zum Schüler
Das Höchste wäre: zu begreifen,
daß alles Faktische schon Theorie ist.
Goethe - Wilhelm Meisters Wanderjahre - 2. Buch, 11. Kapitel
a) Die Frage nach dem Wissen,
b)c) - nach dem Wahrsein
S. 32/33/34/35
Im
Wissen
bleibt
doch
der
Gegenstand
das
Andere;
er
verwandelt sich nicht in unser Wissendsen.
In
jedem
Augenblick
meines
Wahrnehmens,
Vorstellens,
Meinens
bin
ich
schon
in
meiner
Weise
zu
wissen,
in
meinem
Abbilden,
nicht
in
den
Dingen
selbst.
Bewege
ich
mich
vielleicht
in
einer
Welt
der
Täuschungen
meines
Bewußtseins,
während
ich
meine,
die Sachen selbst zu wissen?
Wir
haben
das
Vertrauen,
die
Wahrheit
werde
sich
in
der Welt schon durchsetzen.
In
dem
Tumult
der
in
der
Welt
gegeneinander
stehenden
Behauptungen
scheint
alle
Geltung,
die
absolut
sein
wollte
zu
versinken.
Der
Zweifwl
wächst
durch
die
Überlegung,
daß
alle
Begründung
sich
auf
einen
unbegründbaren
Anfang
kommen
sieht,
wo
der
Anspruch an Evidenz alle Begründungen ersetzt.
In
der
Vielfachheit
der
Zweifelsfragen
suchen
wir
nach
dem
begründenden
Anfang
und
der
sprunglosen
sinngebenden
Ordnung
der
schwindelerregenden
Gedanken.
Nicht
Beiseiteschieben,
sondern
Kritik
ist
die Aufgabe.
Die
Frage
nach
dem
Sein
wurde
sogleich
die
Frage
nach
dem
Wirklichsein
und
nach der Tatsache.
Die
Frage
nach
dem
Wissen
wurde
sogleich
die
Frage
nach
dem
Verhältnis
der
Erkennens zu seinem Gegenstand.
Die
Frage
nach
der
Wahrheit
wurde
sogleich
die
Frage
nach
der
Gültigkeit
von
Behaupt-ungen in mitgeteilten Urteilen.
Erst
die
radikale
Bodenlosigkeit
läßt
uns
hoffen,
auf
den
echten
Grund
zu
kommen.
Es
kommt
vielmehr
darauf
an,
wie
wir
uns
des
in
der
Tat
Unüberschreitbaren
bewußt
werden,
das
weder
ein
Prinzip
des
Geschehens
noch
ein
erster
Satz
von
Aussagezusammenhängen,
noch
irgendein
anderes
gewußtes
Gebilde
sein
kann.
Wie
uns
dieses
Unüberschreitbare
gegenwärtig
werden
kann
und
all
unserem
weiteren
Denken
und
Sein
erst
Sinn
und
Grund
verschafft,
das
ist
die
philosophische Frage.
HORIZONTE UNSERES SEINS
Jeder
Horizont
schließt
uns
ein;
er
versagt
den
weiteren
Ausblick.
Daher
drängen
wir
über
jeden
Horizont
hinaus.
Doch
wohin
wir
auch
kommen,
der
Horizont, der ständig das jeweils Erreichte einschließt, geht gleichsam mit.
Das
Sein
bleibt
für
uns
ungeschlossen:
es
zieht
uns
nach
allen
Seiten
ins
Unbegrenzte.
Es
läßt
immer
wieder
Neues
als
jeweils
bestimmtes
Sein
uns
entgegenkommen.
Dieses
Sein,
das
weder
(immer
verengender)
Gegenstand
noch
ein
in
einem
(immer
beschränkender)
Horizont
gestaltendes
Ganzes
ist,
nennen
wir
das
Umgreifende.
Umgreifend
ist
das
Sein,
aus
dem
als
dem
schlechthin
Umfassenden
vielmehr
auch alle neuen Horizonte erst hervortreten.
Das
Umgreifende
ist
also
das,
was
sich
immer
nur
ankündigt
-
im
gegenständlich
Gegenwärtigen
und
den
Horizonten-,
das
aber
nie
Gegenstand
und
Horizont
wird.
Es
ist
das,
was
nicht
selbst,
sondern
worin
uns
alles
andere
vorkommt.
Es
wird
nur
indirekt
gegenwärtig,
indem
wir
in
ihm
auf
jeden
Horizont
zuschreiten
und
ihn
überschreiten.
Innerhalb
jeden
Horizonts
erfassen
wir
Dinge
geradezu
als
diese
jeweils
bestimmten
Gegenstände,
die
doch
nicht
nur
das
sind,
als
was
sie
unmittelbar
erscheinen,
sondern
durch
das Umgreifende von ihm her transponiert werden.
Das
Umgreifende
ist
das,
worin
alles
Sein
für
uns
ist;
oder
es
ist
die
Bedingung,
unter
der
es
eigentlich
Sein
für
uns
wird.
Es
ist
nicht
alles
als
die
Summe
des
Seins,
sondern
ist
das
für
uns
ungeschlossen
bleibende
Ganze
als
der Grund des Seins.
3. Die philosophische Grundoperation
S. 37/38/39