ZEIT
Wie ist es denkbar, die Ewigkeit zum Nächsten, zum Heute zu machen? Wie sähe eine solche Vorwegnahme der Zukunft in den Augenblick, eine richtige Umschaffung der Ewigkeit in ein Heute aus? Wenn wir sonst nichts von der Ewigkeit wissen, dies ist sicher: das sie das Un-vergängliche ist. Das unvergängliche Heute -aber ist es nicht wie jeder Augenblick pfeilschnell verflogen? und soll nun unvergänglich sein? Da bleibt nur ein Ausweg: der Augenblick, den wir suchen, muß, indem er verflogen ist, im gleichen Augenblick schon wieder beginnen, im Versinken muß er schon wieder anheben; sein Vergehen muß zugleich ein Wiederangehen sein. Dazu genügt nicht, daß er [der Augenblick] immer neu kommt. Er darf nicht neu kommen, er muß wiederkommen. Er muß wirklich der gleiche Augenblick sein. Die bloße Unerschöpflichkeit des Gebährens ändert nichts an der Vergänglichkeit der Welt, ja mehrt sie noch. So muß dieser Augenblick mehr zu seinem Inhalt haben als den bloßen Augenblick. Der Augen-blick zeigt dem Auge, so oft es sich öffnet, immer Neues. Das Neue, das wir suchen, muß ein Nunc stans sein, kein verfliegender also, sondern ein "stehender" Augenblick. Ein solches stehendes Jetzt heißt man zum Unterschied vom Augenblick: Stunde. Die Stunde, weil sie stehend ist, kann in sich selber schon die Vielfältigkeit des Alten und Neuen, den Reichtum der Augenblicke haben; ihr Ende kann wieder in ihren Anfang münden, weil sie eine Mitte, nein viele Augenblicke der Mitte zwischen ihrem Anfang und ihrem Ende hat.Mit Anfang, Mitte, Ende kann sie werden, was die bloße Abfolge einzelner immer neuer Augenblicke nie werden kann: ein in sich zurücklaufender Kreis. Nun kann sie in sich selber reich an Augenblicken und dich immer wieder sich selber gleich sein. Indem eine Stunde herum ist, beginnt nicht bloß "eine neue" Stunde, wie ein neuer Augenblick den alten ablöst, sondern es beginnt "wieder eine" Stunde. Dies Wiederbeginnen aber wäre der Stunde nicht möglich, wenn sie bloß eine Folge von Augenblicken wäre, wie sie es in ihrer Mitte ja wirklich ist, sondern nur weil sie Anfang und Ende hat. Franz Rosenzweig - Aus: Stern der Erlösung S. 322