JÜDISCHES LEBEN
SCHICKSALSTAG 9. NOVEMBER
Es
gibt
Tage,
an
denen
der
Kalender
gleichsam
symbolisch
den
Grundgehalt
nationaler
Erzählstrukturen
festschreibt.
In
der
jüdischen
Geschichte
gebührt
diese
Ehre
dem
9.
Tag
des
Sommermonats
Aw.
Der
jüdischen
Tradition
zufolge
wurden
an
diesem
Tag
sowohl
der
Erste
wie
auch
der
Zweite
Tempel
in
Jerusalem
zerstört,
fiel
am
Ende
des
Bar-
Kochba-Aufstands
gegen
die
Römer
im
Jahre
135
die
Festung
Betar
und
–
als
wäre
dies
nicht
genug
der
Katastrophen
–
lief
angeblich
im
Jahre
1492
die
Frist
für
die
spanischen
Juden
ab,
sich
für
Taufe
und
damit
Verbleib
in
der
Heimat
oder
aber
fürs
Exil
und
damit
Verbleib
im
Glauben
zu
entscheiden.
Bis
heute
begehen
fromme
Juden
diesen
Tag
als
Trauer- und Fasttag."
Michael Brenner - Er lehrt Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München
DER 9. NOVEMBER
IM JAHR . . .
In
der
Schlacht
von
Gammelsdorf
setzt
sich
der
spätere
Kaiser
Ludwig
der
Bayer
gegen
seinen
Vetter
Friedrich
den
Schönen durch und erhält damit die Vormundschaft über die jugendlichen Herzöge von Niederbayern
1313
Standrechtliche Hinrichtung von Robert Blum:
Die
Hinrichtung
Blums
markiert
einen
entscheidenden
Wendepunkt
in
der
Entwicklung
der
Deutschen
Revolution
von
1848/49 als Anfang vom Ende dieser Revolution.
1848
Novemberrevolution
in
Berlin:
Der
wenige
Wochen
zuvor
berufene
Reichskanzler
Max
von
Baden
verkündet
angesichts
der
bevorstehenden
Niederlage
des
Deutschen
Reiches
im
Ersten
Weltkrieg
eigenmächtig
die
Abdankung
von
Kaiser
Wilhelm II. und betraut Friedrich Ebert (SPD) mit den Amtsgeschäften.
1918
"Am
Tag
zuvor
hatte
Kurt
Eisner
in
München
als
erster
Ministerpräsident
einer
bayerischen
Republik
die
Regierungsgeschäfte
übernommen.
Eisner
war
nicht
Mitglied
der
jüdischen
Gemeinde,
aber
seine
jüdische
Herkunft
hatte
er
niemals
verleugnet.
Von
ihm
ist
der
Spruch
überliefert,
solange
es
noch
Judenhass
gebe,
solange
wollte
er
ein
Jude
bleiben.
Diese
Art
von
Trotzjudentum
war
in
der
jüdischen
Gemeinde
nicht
unbedingt
beliebt,
zudem
stieß
sein
Sozialismus
dort
nicht
auf
große
Zustimmung.
Da
es
im
Kaiserreich
keine
jüdischen
Minister
gegeben
hatte,
fürchtete
man
gerade
in
der
Umsturzsituation, dass die gesamte jüdische Gemeinde Leidtragende einer Gegenrevolution werde."
"Noch
deutlicher
distanzierte
sich
der
Sprecher
der
Münchner
jüdischen
Orthodoxie,
Sigmund
Fraenkel,
wenig
später
in
einem
offenen
Brief
von
den
jüdischen
Protagonisten
der
kurzlebigen
Räterepubliken
wie
Ernst
Toller,
Erich
Mühsam
und
Gustav
Landauer:
"Unsere
Hände
sind
rein
von
den
Gräueln
des
Chaos
und
von
dem
Jammer
und
Leid,
das
Ihre
Politik
über
Bayerns
zukünftige
Entwicklung
heraufbeschwören
muss.“
Wenig
bekannt
ist
auch,
dass
Münchner
Juden
sich
auf
allen
Seiten
der
Fronten
befanden,
dass
die
beiden
jüdischen
Rechtspraktikanten
Franz
Gutmann
und
Walter
Löwenfeld
am
Palmsonntag
versuchten,
die
Räteregierung
zu
stürzen
und
dass
sogar
der
Eisner-
Mörder Graf Arco mütterlicherseits aus der Familie Oppenheim stammte."
Michael Brenner
Hitler-Ludendorff-Putsch in München
1923
"Der
9.
November
fünf
Jahre
später
[nach
1918]
war
zweifellos
ein
Münchner
Ereignis,
auch
wenn
Hitlers
gescheiterter
Putsch
an
der
Feldherrenhalle
selbstverständlich
weit
über
München
hinaus
einschneidende
Konsequenzen
gehabt
hätte.
Doch
es
bedurfte
gar
nicht
des
Erfolgs
von
Hitler,
um
im
selben
Jahr
zahlreiche
jüdische
Familien
polnischer
Staatsbürgerschaft
aus
München
und
anderen
Teilen
Bayerns
auszuweisen.
Diese
Maßnahmen
waren
dem
9.
November
bereits
vorausgegangen
und
von
der
Regierung
von
Kahr
in
einer
Atmosphäre
zunehmender
Judenfeindlichkeit
initiiert
worden.
Hierzu
gehörte
auch
der
akademische
Antisemitismus,
der
den
Chemiker
und
Nobelpreisträger
Richard
Willstätter
1925
von
seiner
Münchner
Professur
zurücktreten
ließ.
Ein
anderer
Münchner
Jude,
Lion
Feuchtwanger,
hielt
den
Geist
dieser
Zeit
in
seinem
Roman
'Erfolg'
fest.
Dennoch
wäre
es
gewiss
verkürzt,
nur
diese
Seite
jüdischen
Lebens
im
München
der
Weimarer
Jahre
zu
sehen.
Noch
1932,
als
der
FC
Bayern
mit
seinem
jüdischen
Präsidenten
Kurt
Landauer
und
seinem
Trainer
Richard
"Littl“
Dombi,
der
als
Richard
Kohn
geboren
wurde,
seine
erste
Deutsche
Meisterschaft
feierte,
glaubten
viele
an die Möglichkeit der Integration. "
Michael Brenner
Gedenktafel an der Residenz
30 Zentimeter weiter rechts
"Am
9.
November
1923
marschierte
eine
Kolonne
von
rund
2000
Mann
-
darunter
viele
wie
Hitler
bewaffnet
-
vom
Bürgerbräukeller
zum
Kriegsministerium
in
der
Schönfeldstraße (heute Hauptstaatsarchiv).“
"Am
oberen
Ende
der
Residenzstraße,
als
die
Marschierer
zum
Odeonsplatz
an
die
Feldherrnhalle
kamen
...
trafen
sie
auf
den
zweiter
größeren
Polizeikordon.
'Da
kommens,
Heil
Hitler!'
schrie
ein
Zuschauer
auf.
Dann
ertönten
Schüsse.
Wer
zuerst
geschossen
hat,
wurde
nie
ganz
geklärt,
aber
es
war
vermutlich
einer
der
Putschisten.
Danach
folgte
ein
wilder,
fast
halbminütiger
Schußwechsel.
Als
das
Feuer
eingestellt
wurde,
lagen
14
Putschisten
und
vier
Polizisten
tat
am
Boden.
Unter
den
Toten
war
einer
der
Initiatoren
des
Putsches,
Max
Erwin
von
Scheubner-Richter.
...
Hätte
die
Kugel,
die
Scheubner-Richter
tötete,
30
Zentimeter
weiter
rechts
getroffen,
wäre
die
Weltgeschichte
anders
verlaufen."
Ian Kershaw - Hitler 1889-1936 S. 265
Eine gespenstische Szenerie bei einfallendem Nebel (2005)
"Hitler,
der
sich
seine
linke
Schulter
ausrenkte
wurde
in
Hanfstaengls
Haus
in
Uffing
gebracht,
wo
ihn
die
Polizei
am
11.
November
aufspürte
und
verhaftete.
"Laut
Hanfstaengs
später
verfaßten
Bericht,
der
auf
Aussagen
seiner
Frau
beruhte,
sei
Hitler
bei
der
Ankunft
in
Uffing
verzweifelt
gewesen.
Doch
für
Geschichten,
die
später
kursierten, daß er vom Selbstmord abgehalten werden mußte, fehlen die sicheren Belege."
(Kershaw S. 266)
1924
wurde
Hitler
zwar
zu
einer
ehrenvollen,
hotelähnlichen
"Festungshaft"
verurteilt,
aber
diese
Verurteilung
war
ein
Sieg.
Der
Vorsitzende
Geog
Neithardt
sympathisierte
offen
mit
den
Nationalisten.
Er
verharmloste
den
Marsch
als
"Propagandazug".
Hitler
durfte
die
Verhandlungen
zu
mehrstündigen
Propagandareden
nutzen:
er
sei
kein
Hochverräter
,
vielmehr
kämpfe
er
gegen
die
Hochverräter
und
Novemberverbrecher
von
1918.
Das
die
Nazis
vier
Polizisten erschossen hatten, blieb im Prozess unerwähnt.