EINE SEITE VON THEODOR FREY
* 17.02.1885     † 01.10.1968
»Gericht« bedeutet, daß der Mensch im heiligen Lichte Gottes sich ganz sieht: die Zustände und die Ursachen, das Zufällige und das Wesentliche, das Äußere, Innere und Innerste, das bisher schon Gekannte und das Verborgene, ob es nun bloß zu tief lag oder vergessen war, oder verdrängt und zugeschüttet wurde - alles. Under sieht es ohne jeden Schutz. Was sonst unempfindlich macht: Stolz, Eitelkeit, Ablenkung, Gleichgültigkeit - alles das ist weg. Er ist ganz offen, ganz fühlend, ganz gesammelt. Und er will. Er steht auf Seiten der Wahrheit gegen sich selber. Er ist bereit, seinem eigenen Leben, all, dem Versäumten, Halben, Wirren darin standzuhalten. In einem geheimnisvollen Leiden stellt das Herz sich der Reue zur Verfügung und überliefert sich so der heiligen Macht desSchöpfergeistes. Daraus wird das Versäumte neu geschenkt. Das Falschgemachte wird in Ordnung gerückt. Das Böse umgelebt und ins Gute hinübergebracht. Nicht äußerlich verbessernd, sondern so, daß alles durch das in der Reue wirkende Geheimnis der umschaffenden Gnade hindurchgeht und neu ersteht. Aus "Die letzen Dinge"
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Maß & Mitte
WO IST SIE ZU FINDEN - DIE MITTE ? „Nicht hier oder dort: Der Erde, oder des Raumes, oder des anatomisch- leiblichen Baues. Das Wort bedeutet auch, nicht soviel wie Innerlichkeit. Sondern „Mitte" als Herzpunkt, des Lebens; als Beziehungspunkt lebendiger Gestalt; als Ausgang und Rückkehr schwingender Bewegung. Jedes Lebendige hat seine Mitte Und es gibt wohl auch eine für die Gesamtheit der Lebendigen; kann sie wenigstens geben, wenn diese in der richtigen Haltung stehen und ihre Mitten bezogen sind auf ein Letzt- Gemeinsames. Jenes Leben ist recht, das eigene Mitte hat und darin steht. Von ihr her und zu ihr hin lebt. Vielleicht haben wir neu zu lernen, was das heißt, eine Mitte zu haben und in ihr zu stehen, nicht an ein Draußen preisgegeben, nicht bloß ein Fetzen zu sein, sondern geordnete Ganzheit, mittenbezogene Eigenwelt, aus deren Innerem wir wirkend hinausstreben, und erfüllt dahin heimkehren, von wo aus wir Ding und Mensch entgegentreten, als Eigene, eigenen Wortes, eigener Forderung, eigener Tat und der Treue. fähig.“
Der Gegensatz, S. 251 ff.
„.Mitte ist [. . .] jener Beziehungspunkt, von wo aus überhaupt erst Leben möglich wird. Nichts Starres; nichts, was hier oder dort aufgezeigt werden könnte. Etwas Schwebendes ist sie. Entschwindet, wenn einer sie definieren will, und steht sofort klar im Gemüt, wenn es sich auftut, in der rechten Weise ist und lebt.“ Die Mitte ist des Lebens Geheimnis. Sie wird zerstört, sobald der Mensch sich an die Besonderung verliert. Nicht schon, wenn er in's Besondere geht, seine eigene Art auswirkt; das soll er. Aber wenn er sich an diese Art verliert. Dann geht die Mitte verloren. Sobald der Mensch die Besonderung, die er doch ist, für Gesamtheit erklärt. Dann erstarrt die freie Mitte, um die das Leben schwingt. Die Mitte ist das Geheimnis des Lebens. Wo die Gegensätze zusammen sind; von wo sie ausgehen; wohin sie zurückkehren.
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WO IST ES ZU FINDEN - DAS MAß ? „Eine doppelte Bedeutung hat das Wort. Einmal bedeutet es Grenze. [. . .] Grenze liegt bereits in der Endlichkeit unseres Wesens überhaupt. [... Die Lehre von den Todesbereichen zeigt, wie dem Leben innere Schranken gezogen sind, die es nicht überschreiten darf. So wird Gegensatzhaltung zur Maßhaltung, darin das Leben um Grenze weiß und sie wahrt; zur Ehrfurcht und Besonnenheit. Und doch können wir diese Grenzen überwinden. Nicht dadurch, daß wir sie verneinen; das wäre Unwahrheit. Auch nicht durch den Versuch, über sie hinauszuschreiten; von Ethos der Gegensatzlehre aus gesehen Frevel und Ueberhebung. Die einzig mögliche Ueberwindung geht nach innen. Sie geschieht, wenn wir das Maß bejahen, aber es umschaffen in die andere Bedeutung des Wortes: Maß ist Einklang, rechtes Verhältnis -Bejahte Grenze wird zum inneren Verhältnis der Kräfte. Wenn wir die Grenze bejahen, verzichten wir auf Unendlichkeit. Wir gewinnen dadurch, was im Bereich des Endlichen deren Aequivalent ist, wenn man so sagen darf: Die Sättigung des Endlichen mit der ihm zugewiesenen Bedeutungsfülle, Vollendung. Die Grenzen leugnen dürfen wir nicht. Sie überschreiten können wir nicht. Aber überwinden sollen wir sie dadurch, daß wir sie frei bejahen, und vollenden, und so zum Gesetz der Vollkommenheit machen. Von der Gegensatzlehre her geformte Haltung gewinnt ein tiefes Wissen um die Bedingungen, unter denen das Leben lebendig bleiben kann. Sie weiß um die Tatsache der Spannung, und wie immer Eines das Andere trägt. Um die sprechbaren Rationalitäten, die das unsprechbare Geheimnis umschließen. Um das stete Gleiten und sein inneres Gesetz. Daraukommt eine große E rfurcht; - ein tiefes Vertrauen in die inneren guten Kräfte und Ordnungen des Lebens; eine Kraft des Umfassens, des Sorgens und ärztlicher Hut. Sie weiß um die von endlichem Leben untrennbare Grenze: Um den Tod.